Ellen H. Burg (Abitur 2007)
Nach der Geburt ihrer Tochter litt Ellen H. Burg, ein Künstlername, den sie bevorzugt, unter einer Art „Still-Demenz“, wie sie sagt. „Ich kam mir geistig zurückgeblieben vor und war ganz unglücklich. Ich musste unbedingt etwas für meinen Kopf tun“, erzählt sie. Da fiel der Entschluss, das Abitur nachzuholen.
Die 33-Jährige gehörte in ihrer Jugend zu den „Jungen Wilden“, brach nach der 12. Klasse die Schule ab, zog von Hamburg nach Berlin und genoss das Leben. Erst als sie feststellte, dass das mit dem Jobben ohne Ausbildung und ohne Studentenstatus ziemlich schwierig ist, beschloss sie, an der privaten Design-Akademie „Visuelle Kommunikation“ zu studieren. „Das ging auch ohne Abitur. Aber ich kam mir so unnütz vor. Ich wollte gerne etwas machen, das anderen Menschen hilft“, erinnert sich die junge Mutter.
Am Abendgymnasium Prenzlauer Berg fand sie dann eine neue Herausforderung. Tagsüber kümmerte sie sich um die kleine Tochter, nachmittags übernahm das ihr Mann, und sie ging zur Schule. „Das hat wunderbar geklappt, nur haben wir uns kaum noch gesehen“, erinnert sie sich. Kritisch wurde es, als sie im dritten Semester feststellte, dass sie das nächste Kind erwartet. „Aber die waren ganz toll in der Schule und haben mich sehr unterstützt.“
Das zweite Kind wählte nämlich einen ungünstigen Geburtstermin: drei Wochen vor den schriftlichen Abiturprüfungen. Während die anderen die Osterferien genossen, hatte Ellen H. Burg mal schnell ein Kind bekommen. Bei den Prüfungen bekam sie einen Extra-Prüfraum mit einer Einzelbetreuung, damit sie jederzeit ihr Baby stillen konnte, ohne die anderen Prüflinge zu stören.
Für eine „Still-Demenz“ hatte sie diesmal weder Anlass noch Zeit, die Prüfungen forderten sie voll. „Ich hatte schon so viel wie möglich vorgearbeitet, bzw. versucht, immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Denn ich wusste, dass es zum Ende hin eng wird.“ Am schlimmsten sei die Politik-Prüfung gewesen, weil sie durch jede Still-Pause aus ihren Gedankengängen herausgerissen wurde.
Die Atmosphäre auf dem Abendgymnasium hat Ellen H. Burg sehr genossen. Das Gros der Schüler sei Mitte 20 gewesen, sie zählte mit ihren Anfang 30 schon zu den Älteren. Alter und Lebenserfahrung hätten sich deutlich im Schulalltag widergespiegelt. Die Schüler seien gefestigter, zielstrebiger und meistens gut organisiert gewesen. „Sie gehen einfach freiwillig in die Schule, um etwas zu lernen. Ohne den elterlichen Zwang der Jugend. Wir waren immer etwas genervt, wenn mal Unterricht ausfiel“, umreißt sie den Unterschied zum normalen Gymnasium. Am Anfang standen die meisten Schüler noch im Arbeitsleben. Doch der Doppelbelastung Berufsleben – Schule hielten nur die wenigsten stand. Ellen hat den Schritt nicht bereut. Jetzt will sie sich erst einmal ausgiebig um ihre beiden Kinder kümmern und sich schlau machen, was sie studieren könnte. Der Traum von Medizin und Xenical rezeptfrei dürfte mit einem Abiturschnitt von 1,1 in greifbare Nähe gerückt sein.